Einführung der Ersatzstimme von den Piraten eingebracht (Gesetzentwurf) und deutlich intensiver diskutiert als im Saarland, aber 2016 ebenfalls abgelehnt (Benken, 2022, Protokoll Innen- & Rechtsausschuss, SHZ-Artikel). Grüne standen der Ersatzstimme positiv gegenüber, die SPD war zögerlich, aber aufgeschlossen, hatte es intern aber nicht ausreichend thematisiert. Der dritte Koalitionspartner SSW (der als Minderheitenpartei nicht durch die Sperrklausel betroffen ist) war stark gegen die Ersatzstimme. Sogar Präferenzwahl in ihrer allgemeinen Form (hier Rangwahlverfahren) wurde mit dem Argument, Schleswig-Holstein zu einem Vorreiter einer demokratischen Innovation zu machen, angebracht. Die Präferenzwahl wurde zwar als “nicht verkehrt” betrachtet, jedoch überwog die “Angst vor dem Neuen” dem “Reiz des Neuen” (Benken, 2022). Das Gutachten des wiss. Dienstes kam zu keinem klaren Ergebnis hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Ersatzstimme.
Weitergehende Details
Die Ersatzstimme wurde ursprünglich von den Piraten als mildere Alternative zur Abschaffung der 5%-Hürde angebracht.
Die Haltung der SPD
Der SPD-Verhandlungsführer war zwar aufgeschlossen, hatte jedoch auf der Fraktionssitzung nur 5 Minuten Zeit, um über das Thema zu sprechen ( Benken, 2022), “es täte ihm leid”. Die SPD machte zur Bedingung, dass die Ersatzstimme verfassungsgemäß sei (SHZ-Artikel).
Die Haltung von SSW
Besonders gut im Vortrag über die gescheiterte Initiative durch Benken, 2022 dargelegt: SSW opponierte die Ersatzstimme deutlich:
- “Was anderen Kleinparteien nützen kann, das kann uns nur schaden.”
- Ersatzstimme sei “reine Symptom- statt Ursachenbekämpfung”
- Ersatzstimme würde das Wahlsystem unnötig verkomplizieren
- Würde Unmittelbarkeit der Wahl widersprechen SSW ist als Minderheitenpartei gesondert vor der Sperrklausel geschützt, auf sie wird die Sperrklausel nicht angewendet.
Gutachten des wiss. Diensts
Der wiss. Dienst des Landtages befand (s. Gutachten), dass sowohl für als auch gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Einführung einer Ersatzstimme gewichtige Argumente sprechen. Da es keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema gibt, bleibt die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Ersatzstimme letztlich offen. Ggf. wären Verfassungsänderungen notwendig, um die Einführung der Ersatzstimme zu ermöglichen. Weber von Mehr Demokratie e.V.: “Mittlerweile hielten auch einige Wissenschaftler die Einführung einer Ersatzstimme für geboten, sollte an der Fünf-Prozent-Hürde festgehalten werden.”
Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss
Angebrachte Gegenargumente:
- Stimme nicht verloren: Die Nichtberücksichtigung von Stimmen für Parteien unter der Sperrklausel führe nicht zu einer Entwertung der Stimmen, da die Parteien durch die Stimmen Aufmerksamkeit, Zugang zu öffentlichen Diskussionen und zur staatlichen Parteienfinanzierung erhielten.
- Einordnung: Ansichtssache. Vielleicht ist nicht die Stimme verloren, aber ihre Wirkung auf die Verteilung der Parlamentssitze ist definitiv verloren.
- Verstoß gegen Grundsatz der unmittelbaren Stimmabgabe (Nico Lange, KAS):
- Einordnung: Nicht notwendigerweise ein Problem. Die Literatur ist sich in dem Punkt uneinig (s. Ausarbeitung des Wiss. Dienstes des Bundestags 2022). Ggf. kann eine solche Einschränkung durch die verbesserte Wählerintegration rechtfertigt werden
- Verletzung der eindeutigen, klaren und unmittelbar wirkenden Wahlentscheidung (Nico Lange, KAS): Er bezweifle, dass ein Wahlberechtigter vor der Wahl erkennen könne, wie sich seine Stimme auf die politischen Wettbewerber auswirke. Eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage stehe noch aus.
- Einordnung: Falschbehauptung. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags befand mittlerweile, dass die Eindeutigkeit gegeben ist (s. Ausarbeitung des Wiss. Dienstes des Bundestags 2022).